Laminar fliegen in turbulenter Luft

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Geht das überhaupt? Die Antwort vorab: Ja, es geht, es geht sogar überraschend gut, wie die Segelflieger mit ihren Kunststoffseglern fortwährend beweisen. Sie fliegen anerkanntermaßen in der Thermik, nichts anderes als natürliche Turbulenz die durch “thermische Konvektion”, also durch Luftumwälzungen durch Sonneneinstrahlung verursacht wird.

Dieser Befund sollte eigentlich die übrige Fliegerei ermutigen, es den Segelfliegern gleich zu tun und die natürliche Laminarität der Reibungs-Grenzschicht nutzen, denn meist fliegt die übrige Luftfahrt in weit ruhigeren Gegenden der Atmosphäre, als – gezwungenermaßen – die Segelflieger. Mit diesem Artikel möchte ich Forscher und Konstrukteure ausdrücklich ermutigen, es den Segelfliegern nachzumachen und so viel Energie zu sparen.

Der Reibungswiderstand guter Lamimarprofile ist etwa nur halb so groß, wie der von Profilen die turbulent umströmt werden. Abgelöste Strömung ergibt leicht zehnfach höhere Widerstände. Strömungsablösungen lassen sich oft hinauszögern, wenn zuvor Energie in der Reibungsgrenzschicht durch Laminarströmung eingespart werden konnte.

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Folgende Einflüsse sind bekannt, die die natürliche Laminarströmung mehr oder weniger beeinflussen und den vorzeitigen Umschlag in turbulente Strömung bewirken:

  • Vibrationen des Flugzeugs,
  • Lärm,
  • Welligkeit und Verschmutzung der Flugzeugoberfläche und
  • Turbulenz der Luftmasse in der geflogen wird.

Die ersten beiden Störfaktoren sind bei Segelflugzeugen naturgemäß (fast) nicht vorhanden. Seit Generationen aber bemühen sich Erbauer und Piloten von Segelflugzeugen, diese so sauber und wellenfrei wie möglich zu halten.

Wie steht es mit der Turbulenz der Luftmasse? Leider nicht so gut, wenn man vom extrem ruhigen Flug im Wellenaufwind einmal absieht.

Fragt man die Meteorologen, so hört man, dass diese unter Turbulenz etwas anderes verstehen, als die Aerodynamiker mit ihrer recht dünnen Grenzschicht.

Dennoch war zu erfahren, dass Turbulenz in großen Ballen (englisch Eddy) entsteht, in immer kleiner werdende Ballen (Eddies) zerfällt und sich erst im Bereich von wenigen Millimetern Durchmesser zu Wärme verrührt.

Die Meteorologen haben den kaskadenartigen Zerfallsprozess der großen Ballen bis in den Bereich von Metern herab nachgemessen und sich damit zufrieden gegeben.

Die Aerodynamiker kennen nur Turbulenzballen von weniger als einem Meter Durchmesser aus Windkanal- und Grenzschicht-Versuchen. Sie wissen auch, dass Turbulenz im Windkanal die günstigen Laminareffekte unterdrückt und bemühten sich deshalb besonders turbulenzarme Windkanäle zu bauen.

Erinnern wir uns, was der Meteorologe Carsten Lindemann ausgesagt hat: Erst im Millimeterbereich verschwinden die Turbulenzballen und werden durch die Zähigkeit der Luft in Wärme überführt.

Bei der Thermik entstehen große Ballen in Bodennähe, die schon während des Aufstiegs den kaskadenartigen Zerfall in kleinere Ballen durchlaufen. Wir haben alle diese Erfahrung gemacht und die Annahmen und Messungen über das Aussehen der Thermik lassen sich nach der Kaskaden-Theorie gut ordnen.

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Stimmen wir nicht alle darin überein, dass die Thermik in Bodennähe, am Berghang sehr großräumig turbulent ist und mit zunehmender Höhe immer ruhiger wird? Nur wenn Windscherungen vorhanden sind, gibt es neue Turbulenz, die aber auch wieder abnimmt.

Sehen wir nicht an unseren geliebten “Cumulanten” den Kaskaden-Prozess ablaufen? Fliegen wir nicht alle “frische” Cumulus-Wolken an, in denen noch relativ große Ballen mit scharfen Konturen zu sehen sind? Sind nicht innerhalb der großen Strukturen die kleinen Zerfallsprodukte deutlich sichtbar? Einen Cumulanten, der schon so kleine “Bällchen” hat, daß er unscharf und zerfasert erscheint, bezeichnen wir als “zerfallen”.

Leider ist in diesem Zustand noch nicht der Millimeterbereich der Turbulenzballen erreicht und damit die Auflösung in Wärme. Wir müssen vielmehr leider annehmen, daß nun die Größenordnung erreicht ist, die im Windkanal die Laminarströmung stört und somit auch unsere Segelflugzeuge mehr oder weniger beeinflusst.

Der einzige Unterschied, den die Wissenschaftler heute zwischen Windkanal- und freier Turbulenz finden können ist, daß die freie Turbulenz schon viele Zerfall-Stufen hinter sich hat, die im Windkanal aber erst gerade entstanden ist und durch die Form der Windkanalröhre zusätzlich deformiert ist.

Macht das aber einen wesentlichen Unterschied im Hinblick auf die mögliche Laminarströmung? Für diejenigen Leser, die jetzt von der Turbulenz-Forschung angesteckt worden sind und sich selbst informieren wollen, sind folgende Daten wichtig:

  • 1922 formuliert der bekannte britische Hydrodynamiker L. F. Richardson den Prozeß der Energiekaskade in einem Vierzeiler, siehe [Lit. 1]:

 

Big whirls have little whirls
which feed on their velocity,
little whirls have smaller whirls
and so on to viscosity.”

  • 1941 veröffentlicht der russische Mathematiker A. N. Kolmogorov in drei wesentlichen Artikeln seine Hypothese über örtlich isotrope Struktur der Turbulenz und den Erhalt der kinetischen Energie der Turbulenz während des kaskadenartigen Zerfalls der Turbulenzballen, siehe [Lit. 2].
  • 1948 entdeckt C. F. v. Weizsäcker unabhängig von Kolmogorov die gleiche Gesetzmäßigkeit und Werner Heisenberg formuliert den Energieübergang in Wärme, siehe [Lit. 2].

Seitdem haben eine Vielzahl von Wissenschaftlern, darunter auch der Segelflug-Weltmeister von 1956, Dr. Paul MacCready jr., in Experimenten im Ozean, in der Atmosphäre, in Wasser- und Windkanälen und sogar fast unmittelbar im Strahl hinter Düsen nachgemessen, daß der Erhalt der kinetischen Energie beim Kaskaden-Prozeß bis zu Millimetereinheiten gilt, die Turbulenz dabei immer gleichförmiger wird und erst bei sehr kleinen Durchmessern verschwindet, weil sie in Wärmeenergie umgewandelt wird.

Wie die Turbulenz der kleinen Ballen sich auf die Leistungen und Eigenschaften von unseren Segelfugzeugen auswirken, wird in einem nachfolgenden Artikel geschildert, insbesondere, welche Gegenmaßnahmen erfolgreich ergriffen werden können.

Poppenhausen, den 08.12.1999            (Gerhard Waibel)

Literaturnachweise:

[ Lit. 1 ] Verschiedene Authoren: promet 1 / 2 ’77, meteorologische fortbildung, herausgegeben von Deutscher Wetterdienst, Offenbach, Germany, 1977.
[ Lit. 2 ] H. SCHLICHTING, K. GERSTEN: GRENZSCHICHT-THEORIE; 9., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York, 1996, ISBN 3-540-55744-X